Das zuletzt im Jahr 1992 reformierte Betreuungsrecht hatte das bis dahin geltende Vormundschaftsrecht abgelöst. Das nun reformierte Betreuungsrecht stellt das subjektive Wohl und damit die Wünsche der Betreuten als Magna Charta für das Betreuerhandeln im Innenverhältnis in den Vordergrund. Stellvertretende Entscheidungen durch den Betreuer als gesetzlicher Vertreter im Außenverhältnis sollen die Ausnahme werden.
Orientierung am Wunsch und Willen der betreuten Personen
Mit dem neuen Gesetz sind Betreuer verpflichtet, Betreute bei selbst bestimmten Entscheidungen zu unterstützen. Ihr Wunsch und Wille sollen im Mittelpunkt stehen. Die vormalige Ausrichtung des Betreuerhandelns primär an dem objektiven Wohl des Betreuten entfällt. Durch die unterstützende Entscheidungsfindungen soll der Betreute bestmöglich rehabilitiert werden, um seine Rechtsangelegenheiten künftig möglichst weitgehend selbst erledigen zu können.
Die einzelnen Aufgabenbereiche werden vor Anordnung der Betreuung festgelegt. Der Aufgabenkreis „sämtliche Aufgabenkreise“ entfällt.
Eingrenzung der Betreuung, Mitsprache und Kontakt
Bereits bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Anordnung einer rechtlichen Betreuung werden Betreute künftig stärker in die Prozesse einbezogen. Das gilt schon bei der Frage, ob sämtliche, der Betreuung vorgehenden anderweitigen Unterstützungsleistungen ausgeschöpft wurden. Betreuter und Betreuer lernen sich vor Anordnung einer Betreuung kennen und der Wunsch des Betreuten, wer die Betreuung übernehmen soll, wird berücksichtigt. Die Betreuer sind zudem verpflichtet, in regelmäßigen, zeitlichen Abständen den persönlichen Kontakt mit dem Betreuten zu halten und jährlich einen Bericht zu verfassen, der mit dem Betreuten zu besprechen ist.
Änderungen für Betreuer und die Stärkung Betreuter vor Gericht
Berufsbetreuer müssen sich bei ihrer Stammbetreuungsbehörde registrieren lassen und ihre Sachkunde nachweisen. Ehrenamtliche Betreuer, die keine familiäre oder persönliche Bindung zum Betreuten haben, sollen sich an einem Betreuungsverein wenden, der sie beraten und fortbilden kann.
Betreute dürfen nun auch selbst bei Gericht Erklärungen abgeben, Anträge stellen oder gegen Gerichtsentscheidungen vorgehen. Korrespondenz vom Gericht oder von Behörden geht dem Betreuten selbst zu.
Bessere gerichtliche Kontrolle der Betreuer
Durch die Erweiterung gerichtlicher Kontrolle können Pflichtwidrigkeiten des Betreuers, die das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten beeinträchtigen, besser erkannt und sanktioniert werden. Hierdurch und durch spezielle Kriterien für die Auswahl eines konkreten Betreuers soll ein höherer Qualitätsstand der Betreuung erreicht werden.
Das ist in vor allem in schwierigen Fällen bedeutend, wenn es beispielsweise um die Frage einer Sterilisation geht. Eine sogenannte Zwangssterilisation gegen den freien Willen ist grundsätzlich nicht erlaubt. Es genügt nicht, dass der Betreute einer Sterilisation nicht widerspricht.
Änderungen in Bezug auf die Vorsorgevollmacht
Betroffen von der Reform ist auch die Vorsorgevollmacht (§ 1820 BGB n.F.). Besitzer eines solchen betreuungsvermeidenden Schriftstücks haben hierüber das Betreuungsgericht zu unterrichten; die Kontrollbetreuung wurde umfassend neu geregelt. Ein Widerruf der Vorsorgevollmacht ist vom Betreuungsgericht vor Ausspruch zu genehmigen. Der Kreis der als Bevollmächtigte grundsätzlich ungeeigneten Personen umfasst nunmehr alle Mitarbeiter von Diensten, die in der Versorgung des Vollmachtgebers tätig sind (§§ 1814 III 3 S. 2 Nr. 1 i.V.m. 1816 VI BGB n.F.).
Gesetzliches Vertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten
Im Rahmen der Betreuungsreform besteht nunmehr ein auf sechs Monate befristetes gesetzliches Vertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten. Eng damit verbunden sind Aufgabenbereiche bei gemeinsam lebenden Ehegatten (§ 1358 BGB n. F.). Dies ist sinnvoll, wenn eine rechtliche Betreuung vermieden werden soll und eine Vorsorgevollmacht nicht besteht. Allerdings kann die vom Gesetz aufgedrängte Vertretungsmacht durch Eintragung eines Widerspruchs im Zentralen Vorsorgeregister ausgeschlossen werden (§ 1 I Nr. 7 VRegV n. F.). In diesem Zusammenhang erhalten auch Ärzte ein Einsichtsrecht in das Zentrale Vorsorgeregister.
Fehlende und kritische Aspekte der neuen Reform
Um das Reformziel zu erreichen, die Selbstbestimmung der Betroffenen zu stärken und die Qualität der rechtlichen Betreuung zu verbessern, wären aus meiner Sicht noch weitergehende Maßnahmen wünschenswert gewesen. So wurde eine verbindliche Einrichtung von Fachstellen zur Weiterentwicklung von Methoden der unterstützten Entscheidungsfindung vergeblich gefordert. Auch das Thema Zwang wurde ausgeklammert: Eine Zwangsbehandlung oder Zwangsunterbringung im psychiatrischen Bereich bleibt daher wie zuvor als Ultima Ratio.
Als bedenklich erachte ich zudem den hohen Beratungsaufwand durch Betreuer und die neu entstandenen Berichtspflichten, die nicht vergütet werden. Schwierigkeiten aufgrund der neuen Rechtslage könnten sich auch bei der Führung der Betreuung selbst ergeben. Ein mögliches Dilemma zwischen dem Wunsch des Betreuten und tatsächlichen Grenzen entsteht schon dann, wenn ein Betreuter beispielsweise einen neuen Fernseher braucht und die Finanzen knapp sind. Wenn er das Gerät in einem ihm vertrauten Fachgeschäft um die Ecke kaufen möchte, es im Internet jedoch günstiger zu bekommen ist.
Für einen weiteren kritischen Aspekt halte ich es, dass das Notvertretungsrecht gemeinsam lebender Eheleute gerichtlich nicht kontrolliert wird. Ob diese Kritikpunkte einen baldigen Anpassungsbedarf nach sich ziehen werden, bleibt abzuwarten.
Wenn Sie Fragen zum neuen Betreuungsrecht haben, stehe ich Ihnen als juristische Expertin gern zur Verfügung. Ich freue mich auf unseren Kontakt.
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